Es ist dunkel, eiskalt und ich rutsche wie ein gestrandeter Seehund die Piste hinunter. Ungefähr so habe ich meine erste Skitour in Erinnerung. Skitour trifft es nicht ganz, denn wir sind „nur“ die Piste zum Gipfel hinauf gegangen – zwecks Sonnenaufgangsfoto. Abgesehen davon, dass „Pistenhatschen“ sowieso unromantisch ist, war es an diesem Morgen besonders kalt, eisig und die Anleitung von Chris, „einfach eine Spitzkehre“ zu machen, wenig hilfreich. „Einfach“ haben sich nur meine Beine mit den Skiern verwurstelt. Die richtige Technik sollte man halt nicht erst am steilen Hang proben.
Auf zum Kurs
Die Technik ist das Eine. Die Gefahreneinschätzung das Andere. Bevor man ins freie Gelände geht, sollte muss man in Lawinenkunde geschult sein. Sich nur auf die Freunde zu verlassen, ist kein gutes Gefühl – nicht weil wir ihnen misstrauen, sondern weil sie sich im Notfall nicht auf uns verlassen können. Das ist auch die erste Lektion des Kurses: Im Notfall zählt nur die Kameradenrettung. Die beste Überlebenschance hat man in den ersten 15 Minuten. Das Warten auf die Bergrettung kann tödlich sein.
Aber zum Anfang. Wir trudeln mit 15 anderen Touren-Neulingen im Gasthof zum Donner in Johnsbach ein und sind gespannt, was uns erwartet. Gruppenkurse machen mich immer ein wenig nervös, weil ich -gefühlt- meistens die Langsamste und Schwächste bin. Small Talk ist nicht mein Ding und Gruppenzwang (oder die Notwendigkeit der Anpassung) löst bei mir reflexartig Widerstand aus.
Hier bleibt zum Glück nicht viel Zeit zum Nachdenken. Berni und Stefan teilen uns in zwei Gruppen und schon bekommen wir den ersten Schnellkurs über den Einsatz der Notfallausrüstung (Pieps, Schaufel, Sonde, Biwacksack, Erste-Hilfe-Set). Dann geht es mit vielen Fragezeichen und einer gehörigen Portion Respekt auch schon in die Praxis. Das Suchen will geübt sein und beginnt schon beim Auspacken der Sonde. Wenn man das noch nie gemacht hat, vergehen wertvolle Minuten. Auch der Umgang mit dem Pieps und das richtige Schneeschaufeln sind eine Herausforderung. Im Kopf und für den Körper.
Aber es geht nicht nur um Katastrophenszenarien. Schnee- und Lawinenkunde ist auch für die Tourenplanung interessant. Dazu gehört das Verstehen des Lawinenlageberichts und des Wind- und Wetterberichts. Es ist sinnvoll, die Tour an die Wetterverhältnisse anzupassen und nicht um jeden Preis den Gipfel zu erklimmen. Wind auf ausgesetzten Stellen ist echt unangenehm. Wir sind dankbar, dass uns Stefan auf der ersten Tour den Leistungsgedanken aus den Skiern nimmt und meint: „Wir können es uns auch komfortabler machen.“ Gehen wir heute eben nicht auf den Gipfel, wir sehen auch so genug Berge um uns.
Spannend ist auch das Lesen von topographischen Karten. Faszinierend, wieviel man darin über das Gelände ablesen kann, Höhenmeter, Weglänge, Hangneigung, Beschaffenheit des Geländes usw. Ich habe das Gefühl, in drei Tagen mehr gelernt zu haben als in einem Jahr Geographieunterricht. Plötzlich nehmen wir die Dinge am Berg viel differenzierter wahr. Wir erkennen Schwachstellen im Schneeprofil, spüren die unterschiedlichen Schneearten und können nur mit den Skistöcken die Hangneigung messen. Mit wohlwollendem Humor sorgt Stefan immer wieder für Aha-Erlebnisse.
Natürlich üben wir auch die Ski-Technik. Spitzkehren sind gar nicht so schwierig. Im Gleitmodus spart man Energie und trotz Skier auf den Füßen fällt das Tourengehen leichter als das Wandern im Sommer. Mit dem Raufgehen haben wir wenig Probleme, nur das Spuren braucht ein wenig Übung. Je steiler die Spur, desto anstrengender. Trotzdem neigen wir zu steilen Linien. Nebenbei sensibilisiert uns Stefan für die Umwelt – Wildtiere sollen nicht durch Lärm gestört werden und Jungbäume sind zu schonen. Sehen wir auch so.
Ein Kurs ist kein Wellnessurlaub
Das war Chris Antwort auf meine kleine Maulerei, weil keine Zeit für die Sauna war. Entspannung war nicht im Kursinhalt inbegriffen. Wir fühlten uns ein bisschen wie im Schulskikurs. Da bin ich auch immer in Stress geraten, weil ich langsamer als die anderen gegessen habe oder drei Mal zurück ins Zimmer laufen musste, bis ich alle Dinge beisammen hatte. Aber Chris hat Recht, wir haben den Kurs gebucht, um was zu lernen. Berni und Stefan holen das Maximum in den drei Tagen raus. Unsere kleine Übungsgruppe passt perfekt zusammen, was die körperliche Fitness aber auch den Humor betrifft. Schulskikurse haben ja auch immer Spaß gemacht.
Am letzten Tag ernten wir die Lorbeeren für unsere Anstrengungen, schönstes Wetter, feinster Pulverschnell und ein herrlicher Ausblick auf die umliegenden Berge. Weil es so schön ist, fühlen sich die 1000 Höhenmeter nicht so schlimm an. Chris und mir fällt es trotzdem schwer mitzuhalten, weil wir die traumhafte Winterlandschaft natürlich fotografisch festhalten müssen…
Von nun an ging´s bergab
Irgendwann müssen wir wieder runter. Die Tiefschneefans unter uns freuen sich über die unberührten Hänge. Während sie mit perfekten Schwüngen frische Linien ziehen, liege ich nach dem ersten Bogen wie ein strampelnder Käfer am Rücken. Mit jeder Bewegung versinke ich noch mehr im Schnee. Mein Können auf präparierten Pisten ist wie weggeblasen. Im Tiefschnee komme ich mir wie eine Anfängerin vor, die noch nie etwas von der richtigen Belastung der Ski gehört hat. Zum Glück geht es auch anderen so. Stefan empfiehlt uns, eine Delfinbewegung nachzuahmen. Eintauchen, auftauchen, eintauchen, auftauchen. „Geschwindigkeit ist Sicherheit“, weil die Ski dann aufschwimmen und leichter zu bewegen sind. Klingt einfacher als es ist, aber am Ende macht es richtig Spaß.
Hier noch ein paar interessante Fakten, die euch vielleicht auch zu einem Kurs motivieren:
- Die meisten Lawinen werden vom Menschen selbst ausgelöst.
- Die durchschnittliche Verweildauer auf der Website des Lawinenlageberichts beträgt 15 Sekunden.
- Es ist unmöglich, in 15 Sekunden alle relevanten Details zu erfassen.
- Die Lawinenwarnstufe alleine reicht nicht zur Gefahreneinschätzung aus.
- Der Wind ist der Baumeister der Lawinen.
- Fischmäuler und Wumm-Geräusche sind Alarmzeichen.
- Bei einer Hangneigung von über 30° macht man Entlastungsabstände.
- Für 300 Höhenmeter oder drei Kilometer braucht man jeweils 1 Stunde. Für 300 Höhenmeter und drei Kilometer braucht man ca. 1,5 Stunden.
Wenn ihr keine Ahnung habt, wovon wir reden, können wir euch Berni und Stefan nur empfehlen 🙂
> Bernhard Eglauer: Alpinschule Steiermark
> Stefan Leitner: Berggfühl
WICHTIGE INFORMATIONSQUELLEN FÜR SKITOURENGEHER*INNEN
- Lawinenlagebericht
- Wetterbericht: Kachelmannwetter
- Wind-Chill und normale Temperatur
- Web-Cams
- Aktuelle Lawinenereignisse