Sensation seeking – eine Eigenschaft, die uns (wohl nicht nur auf Reisen) verbindet. Auf der ständigen Suche nach Abwechslung leicht zu begeistern… aber schnell gelangweilt. Vielleicht sind es auch viel zu große Erwartungen – an Orte, die von anderen als „genial“ … „idyllisch“ … „WIRKLICH sehenswert!!!“ beschrieben werden. Solche Orte begeistern uns nicht. Nein, wir sind oft richtig enttäuscht ob der grandiosen Ankündigung.
Zugegeben, wir jammern auf hohem Niveau, denn es ist überall traumhaft schön. Aber das gewisse Etwas, das Orten eine besondere Note verleiht, ist wohl für Jeden etwas anderes. Für uns sind es einsame, fast vergessene Plätze. Davon haben wir im Osten einige gefunden – an der Küste und in den Bergen.
1. Costa del Sud
Sardinien, die Insel der Türme. Über 100 spanische Türme soll es rund um die ganze Insel geben, manche 1000 Jahre alt. Sie sollten die Insel vor Feinden schützen. Heute sind die Türme an der Küstenlinie beliebte Fotomotive. An der Costa del Sud kommt nach jeder Kurve eine weitere malerische Bucht mit Turm. Irgendwann legen wir die Kameras beiseite und genießen einfach nur noch den Ausblick.
Übrigens: Warum umrundet man eine Insel am besten gegen den Uhrzeigersinn? Weil dann der*die Beifahrer*in direkt an der Küste sitzt und keine Autos durch das Bild fahren … und man leichter am Straßenrand stehenbleiben kann, ohne über uneinsehbare Straßenkurven laufen zu müssen 😉
2. Capo Carbonara
Technik meets nature. Richtung Cagliari könnten die Gegensätze nicht größer sein. Riesige Ölraffinerien, deren Pipelines über die Fahrbahn auf langen Stegen ins Meer führen, zig Windräder über die Landschaft verstreut – dazwischen bzw. darunter brütende Flamingos und sonnenhungrige Menschen an langen Sandstränden.
In den kleinen Buchten merkt man, dass Sonntag ist. Halb Cagliari liegt hier wohl gerade in der Sonne. Für uns der perfekte Zeitpunkt für eine kurze Stadtbesichtigung. Cagliari erinnert uns an Bonifacio, hier kommen wir dem südländischen Charme näher. Kleine kreative Cafés in alten, belebten Gassen, von wo aus wir das gemütlichen Treiben der Hafenstadt beobachten.
Weiter der Küste entlang sehen wir uns langsam an malerischen Buchten und Türmen satt (ich sag ja, schnell gelangweilt). Am Capo Carbonara landen wir wieder in einem steinernen Meer. Wir können gar nicht richtig sagen, warum es uns hier so gut gefällt. Vielleicht weil sich hier viele lustige Familien á la The Osbornes finden. Obwohl wir der italienischen Sprache nicht wirklich mächtig sind, verstehen wir genug für kurzweilige Unterhaltungen. Leider gibt es am hiesigen Imbiss keine Spaghetti Carbonara, sondern nur Hot Dogs und Pommes 😉
3. Barisardo
Die vielzitierte Costa Rei ist schön – wenn man stichgerade, lange Sandstrände mag. Wir machen hier nur einen kurzen Zwischenstopp und fahren weiter Richtung Norden. Die Landschaft wird wieder üppiger, die Berge steiniger und die Gegend wirkt wieder wie ausgestorben. Am Weg begegnet uns kein einziges Wohnmobil, also müssen wir richtig sein.
In Barisardo finden wir unsere Bilderbuch-Bucht. Gleich dahinter, neben einem Eukalyptus-Wald ist der Campingplatz Camping Marina. Einen Turm gibt es auch, am anderen Ende der Bucht. Die nächsten Tage bringt uns nichts von hier weg, wir haben unser Paradies gefunden.
Mit unseren spärlichen Nachbarn stellt sich rasch Alltagsroutine ein. Auf meinem morgendlichen Toilettengang um Punkt 5 Uhr winke ich dem pensionierten Italiener, der gerade mit seiner Angel loszieht. Wenn wir zum Frühstück aufstehen, kommt er zurück und lässt uns seine Erfolge bewundern. Ich hadere jedesmal aufs Neue damit, ob ich wirklich nochmal ins Wasser gehe, wenn sich hier so viele Tintenfische tummeln. Während wir am späten Vormittag gemütlich zum Strand schlendern, beginnt Frau Angler das Mittagessen vorzubereiten – natürlich frischen Fisch.
Barisardo wirkt wie das Waldviertel in den 70er-Jahren. Garagen dienen als Geschäftslokale. In einer kleinen Drogerie sind zwei uralte Schwestern mit ihrer Greifzange zur Stelle, als wir Taschentücher aus den oberen Regalen bestellen. Während die Frauen des Ortes scheinbar das Business in der Hand haben, beobachten uns die Männer von ihren Fensterbänken aus. Wenn die wüssten, wie ihr hübsches Dorf in zwanzig Jahren ausschauen wird. Wir wünschen ihnen, dass sie es vor den großen Supermarktketten und Immobilienhaien schützen.
4. OGLIASTRA-Gebirge
Jerzu – Ulassai – Gairo St. Elena – Lanussei. Bergdörfer im 70er-Jahre-Rohbaustil. Den Menschen sieht man das rauhe Klima und die harte Arbeit an – falls man Menschen trifft. Hier spielt sich das Leben offensichtlich in den Garagen hinter den dicken Rolläden ab. Es gilt das Motto „leben und leben lassen“. Der Anstand gebietet es, Menschen nicht zu stören – auch nicht beim Wildcampen. So herrlich sich das anhört, einem Pärchen wurde dies schon einmal zum Verhängnis, als sie sich in der Grotte verirrten und erst tagelang später gesucht – und glücklicherweise nur leicht unterkühlt gefunden wurden.
Wir machen lieber eine Führung durch die Grotta Su Marmori, die höchste Tropfsteinhöhle Europas – bis zu 52 Meter hoch, über 10 Millionen Jahre alt, und Winterunterschlupf für 30.000 Fledermäuse. Gut, dass gerade Sommer ist. Moskito-Plagen gibt es in den angrenzenden Dörfern jedenfalls nicht.
5. Gennargentu-Gebirge
Vorbei am Lago Alto de Flumendosa fahren wir durch das „Land der Banditen“ Richtung Seui. Von der Nuraghe Ardasei haben wir einen herrlichen Blick über das Gebirge. Kein Mensch weit und breit. Nur ein Wiesel, das mir keck in die Augen blickt.
In Seui drehe ich meinen eigenen Wildwest-Film, offensichtlich bekommt mir die wüstenartige Hitze nicht gut. Auf der „Hauptstraße“ begegnet uns ein junger Bursch auf einem schwarzen Pferd, an jeder Straßenecke sitzen aufgefädelt junge und alte Männer, die Frauen beobachten ihre Kinder am Spielplatz. Passend zu der Szenerie hören wir im Auto „Desperados“. Ich sehe mich plötzlich mit meinem gelben Strohhut und der Wasserpistole in der Hand aus dem Auto springen, wild herumfuchteln und ein paar Probeschüsse in die Luft abgeben. Bevor ich von den Banditen des Dorfes durchlöchert werde, fährt uns Chris über tausend Kurven und Kehren zurück an die Küste. Vor der aufkommenden Müdigkeit rettet sich Chris mit Pulp-Fiction-schieß-mich-tot-Musik, während ich Oxi als Wackeldackel Konkurrenz mache.
6. Supramonte-Gebirge
Schweren Herzens verlassen wir unser kleines Paradies Richtung Olbia. Vom Monte Lopene haben wir nochmal eine herrliche Aussicht auf das Gennargentu-Gebirge, und eine Begegnung mit einem Riesenkäfer, der mir vor lauter Schreck fast das Leben gekostet hätte.
Durch ausgetrocknetes Sumpfgebiet, vorbei an kuriosen Korkeichen, in deren Schatten Wildpferde weiden, kommen wir ins Supramonte-Gebirge. Eine beeindruckende Karstlandschaft gesäumt von gelben, nach Honig duftenden Bäumen. Es wird Zeit für eine neue Erfindung, mit der man Gerüche archivieren und ins Fotobuch kleben kann.
Nach der reinen Luft auf über 2.000 Metern landen wir bei Orosei in einer riesigen Staubwolke. Hier wird im großen Stil Marmor, beiges Gold, abgebaut, und vorwiegend nach China, Indien und Russland verschifft. Wäre er nicht so schwer, hätten wir gerne einen Brocken mitgenommen 😉
7. Sonnenuntergang am Campingplatz S´ELEMA
Schweren Herzens verlassen wir die herrlichen Berge. In der Nähe von Olbia wollen wir noch ein paar Tage das Meer genießen, bevor es wieder zurück aufs Festland geht. Die Campingplatzsuche gestaltet sich jedoch schwieriger als gedacht. Einmal mehr erleben wir, wie subjektiv Beschreibungen sind. Wir haben die Wahl zwischen riesigen „Schrebergärten“ oder Sardinendosen-Feeling. Aussicht aufs Meer? Fehlanzeige. Hunde sind auch nicht so gerne gesehen. Unsere Stimmung sinkt, obwohl wir in der Nähe der großen Hafenstadt eigentlich nichts anderes erwarten dürfen.
Bei Santa Lucia geben wir für heute auf. Der Campingplatz S´Elema liegt in einem schattigen Pinienwald, der Boden ist leicht sandig, es gibt ein charmantes Restaurant (unser Kühlschrank ist schon ziemlich leer) und hinter einer kleinen Düne liegt gleich das Meer. Für einen Abend ist es gut. Neben uns steht ein niederösterreichisches Pärchen, das ihre Pension mit seinen zwei Katzen on the road genießt. Und dann erleben wir den kitschigsten Sonnenuntergang, den wir bisher gesehen haben…
Unser Fazit
- 23 Tage. 3900 Kilometer. 12 Campingplätze. 3000 Fotos.
- Sardinien, das Land der Türme und Verbotsschilder, hat mindestens genauso viele Kurven wie Korsika, das Land der 10.000 Kurven – und ist landschaftlich ebenso beeindruckend.
- Die traumhaftesten Plätze befinden sich meistens ein paar hundert Meter neben den „schönsten, besten und wirklich idyllischen!!!“ Plätzen.
- Nächstes Mal nehmen wir einen alten Fiat 500 mit nach Hause (die gibt es hier noch an jeder Ecke)
- Wir gehen uns immer noch nicht auf die Nerven.
- Wir brauchen ein neues Roadbook.
…und wir kommen bald wieder!
Claudia
WeiteRlesen:
Teil 1: Auf den Spuren der Vergangenheit – im Nordosten Sardiniens
Weitere Infos:
Unsere Route und Campingplätze findet ihr auf der Karte. Für subjektive Beschreibungen einfach auf das Zelt-Symbol klicken. Bitte beachtet, dass wir Sardinien in der Vorsaison bereist haben. Angaben über „einsame Plätze“ können sich in der Hauptsaison natürlich ändern!